Die erste Zentralmatura hat die Unterschiede zwischen den Stärken der Mädchen und Burschen ein weiteres Mal aufgezeigt. Warum stellt sich Mathematik aber immer wieder als die große Schwäche der Mädchen dar? Wir haben dazu mit Professor Josef Aigner, Professor für Psychosoziale Arbeit und Psychoanalytische Pädagogik an der Leopold Franzens-Universität Innsbruck, gesprochen.

Mädchen haben bei Mathematik nach wie vor Blockaden. Hier schnitten bei der ersten Zentralmatura fast doppelt so viele SchülerInnen negativ ab wie in Englisch und Deutsch. Während in Deutsch österreichweit nur 3,3% und in Englisch 5,8% durchgefallen sind, waren es in Mathematik 10,5%.
Worauf führen Sie das zurück?

Immer noch erfolgt Mädchen-Erziehung und Sozialisation nach teilweise traditionalistischen Rollenklischees, die dazu führen, dass Mädchen auf diesem Gebiet weniger zugetraut und sie weniger gefördert und gefordert werden. Dies erfolgt durch Eltern und pädagogisches Personal unbewusst, also nicht beabsichtigt, sondern eben durch traditionalistische Bilder bestimmt.

Offenbar sind diese unterschiedlichen Leistungsstärken zwischen Mädchen und Buben nicht nur ein Klischee, sondern noch immer gelebte Praxis. Welches Umdenken und „anders handeln“ sollte Ihrer Meinung nach erfolgen?

 Siehe oben – solche tief verinnerlichten Klischees ändern sich nur langsam, man muss im Bereich Elternbildung (bei uns ja noch kaum entwickelt…) und PädagogInnenbildung gendersensible Kurse und Inhalte verankern, die helfen diese Klischees zurückzudrängen.

Diese Geschlechterunterschiede bewirken zwar immer wieder Schlagzeilen oder Diskussionen, aber zu welchen Konsequenzen sollten sie führen?
Das Profil schreibt: 
Anhand der PISA-Ergebnisse von 2012 erforschten die Wissenschafter Geschlechterunterschiede in mathematischen Fertigkeiten. Ergebnis: In beinahe allen Mitgliedsländern können die 15- bis 16-jährigen Buben besser rechnen als die Mädchen. In Österreich lagen die männlichen Schüler um 22 Punkte vor den weiblichen.

Wie gesagt, das kann nur durch beharrliche Bewusstseins- und Ausbildungsbemühungen langsam zurückgehen. Nicht vergessen werden sollte aber bei aller Sorge um die Mädchen, dass die Buben insgesamt viel schlechtere Schulergebnisse erzielen, was Lesekompetenz (Lesen ist ‚uncool‘) und Sozialkompetenzen betrifft sowie die Häufigkeit des Wiederholens von Klassen, den Sonderschulanteil, die mittlerweile deutlich geringere Studierendenquote usw. Es ist kaum auszudenken, welchen Aufschrei es gäbe, hätten Mädchen und junge Frauen solche statistische Nachteile. So aber sorgt man sich – so berechtigt es ist – nur um die Matheleistungen der Mädchen, eine sehr verkürzte Perspektive.

Welche Rolle sollte hier die Erziehung/Elternhaus/Medien spielen?

Das Ganze ist eine erzieherische Problematik, man weiß auch, dass Mädchen, wenn man es Ihnen zutraut, sofort bessere Leistungen erzielen. Die genannten Einflussfaktoren Elternbildung sowie eine moderne, persönlichkeitsbezogene LehrerInnenbildung, die solche verinnerlichten Bilder aufweichen helfen, liegen aber in Österreich leider noch in den Kinderschuhen.

 

Bild © Foto: Reither