Gespräch mit Heinz Goldemund, Trainer, Coach und Sparringpartner im Denkprozess.

Der Literaturprofessor Robert Harrison sagt in der NZZ: „(..) die Welt, in der wir ständig leben, fällt weg und wir können via Skype, Zoom oder Teams so viel kommunizieren, wie wir wollen, unser In-der-Welt-Sein lässt sich mit allen technischen Hilfsmitteln der Virtual Reality nicht wiederaufbauen. Vielleicht zum ersten Mal in unserem Leben realisieren wir, dass unsere Identität – unsere Selbstheit – wesenhaft an diese gemeinsam geteilte Welt gebunden ist und wir sie nicht aus eigener Kraft wiederherzustellen vermögen. Wir hängen also von anderen ab, wir hängen vor einer menschengemachten Infrastruktur ab.“

Heinz Goldemund:
Ich sehe keine Gefahr, dass die Welt, in der wir leben, wegfällt. Welche Welt ist das, die da wegfallen könnte? Wir, die in unserer zivilisierten Welt leben, haben so viel, dass wir uns mehr mit Unterhaltung und Oberflächlichkeit beschäftigen können als mit existentiellen Dingen, und erklären regelmäßig dem Rest der Welt, wie alles zu sein hat. Mir scheint diese Haltung eher eine Selbsttäuschung zu sein. Wir sollten als Gemeinschaft auf diesem Planeten leben. Und die aktuelle Krise mahnt das vermutlich auch ein.

Wir sind seit einem Monat „weg“ von der Straße, vom Café, vom Büro, und arbeiten von zu Hause. Welche Chancen ergeben sich dadurch für die professionelle (Business) Kommunikation?

Heinz Goldemund:
Virtuelle Realität ist keine Statt-dessen-Realität. Sie ist mehr eine Zusatzrealität. Eine Ergänzung zur (bisherigen) realen Realität. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Mit der Virtualität haben wir einige Chancen, aber auch Gefahren zu managen. Begegnungen ohne echten Kontakt könnten qualitätsvoller sein oder einfach nur schwieriger, auf jeden Fall beinhalten sie auch Chancen. Sich nicht persönlich und direkt zu sehen, ist noch kein Qualitätskriterium. Für mich ist ein handgeschriebener Brief immer noch ein Element höchster Qualität in der Kommunikation.

Welche Gefahren bzw. Chancen siehst Du in der „indirekten“ Kommunikation?

Heinz Goldemund:
Im organisatorischen Kontext wird Kommunikation als Mittel der Manipulation zur Zielerreichung eingesetzt. Konsequent weitergedacht ist nur das Ziel Zweck der Kommunikation. Die Erreichung desselben ist der oberste oder immer öfter auch einzige Zweck guter Kommunikation. Und Ziel meint „mein Organisationsziel“. Dieser Eindruck begegnet uns als Konsumenten im Umgang mit Online Organisationen. Beispielsweise im Online Handel, an der Servicetelefonnummer , beim Helpdesk oder auch im Lieferantenportal.
Man könnte einwerfen, dass zur Manipulation ja immer zwei gehören. Aber haben denn die Konsumenten oder Lieferanten dieser Form der Kommunikation zugestimmt? Ich glaube nein, sie sind damit nicht einverstanden und sie spüren, dass hier etwas nicht passt. Es entsteht der Eindruck, keine Möglichkeit zu haben, etwas dagegen zu tun. Ärgerlich, aber so fühlt sich erfolgreiche Manipulation an. Im wirtschaftlich orientierten Umfeld, mit seinen eindimensionalen und ungezügelten Wachstumsszenarien,findet die virtuelle Kommunikation ihren hervorragen Wirkungskreis.

Welche Perspektiven ergeben sich aus der augenblicklichen Situation?

Heinz Goldemund:
Meine Vorstellung von Dialog, und das ist die Chance im nun über uns lawinenartig losgebrochen Online-Kommunikations-Hype, muss wieder der ursprünglichen Idee von Kommunikation folgen: Neben Zielen auch Haltung, Dialog und Respekt zu beinhalten, ebenso wie Beziehung, Harmonie und Konfrontation zu nutzen.
Emotionen und echter Austausch müssen ihre Bedeutungen wieder erhalten. Mitarbeiter müssen die Freude an ihrer Arbeit sowie Interesse und Respekt ihrer Kunden wiederfinden. Und vor allem: Führungskräfte müssen ihre Haltung gegenüber Mitarbeitern und Kunden reflektiert verändern, damit wirklich ein Mit-Einander entstehen kann und nicht nur Ziele eines ungezügelten Kapitalismus angestrebt werden.

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